(8.1.2016) Die Medizin hier ist in beiden Bereichen unterschiedlich von der in Deutschland gewohnten, zum Einen die Versicherung der Patienten gegen Krankheitsrisiken, zum Anderen das Spektrum und die Ausprägung der Erkrankungen.
Eine Vollkasko-Absicherung wie bei uns gibt es nicht. In Ansätzen baut sich eine Versicherung auf für Beschäftigte in besseren Betrieben; daneben beginnt der Staat eine Versicherung von Behinderten, für deren Zugang aber – besonders für die analphabeten Armen – hohe bürokratische Hürden (z.B. ein Konto) bestehen. Abgesehen von anderen Insellösungen bleibt nur die Privatzahlung, je höher qualifiziert, desto teurer. Am billigsten sind die Quacksalber und auch für ein Praktizieren als “Arzt” braucht man kein abgeschlossenes Medizinstudium.
Ziel der German Doctors ist eine kostenfreie Versorgung gerade der Mittellosen, die fast ausschließlich aus Spenden finanziert wird. Das aber bedingt, dass vorher festgelegt sein muss, wieviel Geld für welche Untersuchungen und welche Behandlungen ausgegeben werden kann. Hier ist das, was in Deutschland unter dem verpönten Begriff ‘Priorisierung’ diskutiert wird, alltägliche Realität. Wenn ich ein CT veranlasse, kann ich stattdessen soundso viele Menschen nicht röntgen lassen. Anordnen von ‘Laborlatten’ verbraucht unnötig Resourcen. Aber sind wir noch gewöhnt, einzelne Laborparameter auf ihre Relevanz und die Konsequenzen daraus zu prüfen? Wieviel kann ich selber abklären oder wann muss/kann ich einen Patienten zum Facharzt (OPD = Outpatient Department eines Krankenhauses) schicken? Bei den vielen staatlichen (z.B. Medical College/Universitätskliniken) und privaten (teuer) Kiniken: welche OPD und welche stationäre Einrichtung ist für die jeweilige Erkrankung gut und für die German Doctors bezahlbar? Sind unsere analphabeten Patienten überhaupt in der Lage, die entsprechende Fachabteilung überhaupt zu finden?
Auf der anderen Seite die Krankheiten. Darüber gibt es im Internet viele tolle Berichte, z.B. auf der Blog-Seite der German Doctors http://blog.german-doctors.de
Man sieht, warum die Tuberkulose bei uns früher ‘Schwindsucht’ hieß, dass einfach zu behandelnde Krankheiten zu Siechtum und Tod führen, weil die Patienten aus Geldmangel erst zum ‘local doctor’ gehen und sich bei den überall vorhandenen ‘Chemist & Druggist’ selbst versorgen.
Bei wie vielen Patienten muss ich sagen, die und die Untersuchung kann ich zwar machen, aber die Konsequenz, die daraus folgt, können wir nicht bezahlen bzw. dafür wird ein Patient im Krankenhaus erst gar nicht aufgenommen. Bei welchen stark unterernährten Säuglingen kann ich die Mutter überzeugen, mit ihrem Kind auf unsere, für sie kostenfreie childrens ward zu kommen; andernfalls wird das Kind in wenigen Tagen tot sein.
Ich sehe hier Patienten in Krankheitsstadien, die wir bei uns nie zu sehen bekommen: Diabetes mit Werten um 500 (kein Grund für eine Krankenhausaufnahme), chronische Bronchitis, Niereninsuffizienz, Blutarmut (mit einem Hb von 2,9 zu Fuß in die Ambulanzhütte gekommen) und andere Krankheiten, sowohl bei uns bekannte als auch unbekannte (Thalassämie, Tuberkulose, Verwurmungen u.a.m.) und Verletzungen, die zur Verkrüppelung führen.
Wie bereite ich mich darauf vor? Ich habe das ‘Blue Book’ und ‘Medizin in Kalkutta’ gelesen und den Inhalt nicht behalten können; das mag an meiner Einstellung zu Bücherwissen oder an meinem Alter liegen. Erst in der praktischen Anwendung habe ich den Inhalt verstehen können.
Ich habe das Glück gehabt, in meiner Assistenzarztzeit bei unserem Oberarzt M. Jankowsky zu lernen, der mit exakter Anamnese, akribischer klinischer Untersuchung, mit imensem Wissen und menschlicher Zuwendung die Medizintechnik ‘auf die Plätze’ verwiesen hat. Wer ihn kennt, weiß was ich meine. (Ich hätte damals mal besser aufpassen sollen.) Hier in Kalkutta habe ich mit unserem Langzeitarzt Tobias Vogt mit genau diesen Eigenschaften zusammenarbeiten können. Dazu kommt die Kollegialität (im wahren Sinne des Wortes) mit all den Einsatzärztinnen und -ärzten während meines Aufenthaltes. So macht Zusammenarbeit richtig Spaß.
Die aktuelle Männerriege (Bernhard, Tobias, Klaus und ich v.r.)