(6.1.2016) Ich habe häufig über die Highlights meiner Reise geschrieben, dazu gibt’s ja auch immer schöne Fotos. Vereinzelt auch über interessante Patienten. Zum Schluss der Reise möchte ich zumindest in Stichworten auf drei Ebenen/Aspekte meiner Arbeit eingehen, weil sie auch in einigen Kommentaren angefragt wurden: die persönliche, die medizinische und die grundsätzliche Ebene. Wenn mir eine ‘Beschreibung’ nicht gefällt, werde ich sie möglicherweise auch nachträglich umformulieren oder ergänzen (deshalb auch am Textanfang das aktuelle Datum).
1. Was bedeutet der Einsatz für mich?
Seit Jahren habe ich mich auf diesen Einsatz gefreut. Meine Vorstellungen davon waren zum Teil unpräzise; meine Vorbereitung darauf war in Teilen mangelhaft und das trotz der ausführlichen Seminare in Würzburg.
Hier angekommen habe ich mich auf eine andere Welt einstellen müssen: ein kälteres Klima (als wofür ich mich eingekleidet hatte), lauter (als ich gewohnt bin), die Änderung des Schlaf/Wach-Rhythmus (von mir als Nachtmensch plus 4 1/2 Stunden Zeitverschiebungund zusätzlich ab 5 Uhr morgens gestört vom Chor der Muezzine), der Überall-Schmutz (darüber hatte ich schon geschrieben), spicy-er (als ich gewöhnlich esse), die Verdauungsprobleme (offenbar unvermeidlich), das Dinglish (das von Oxford soweit entfernt ist wie meine eigenen lückenhaften Sprachkenntnisse), Mücken (vor denen man sich allabendlich in seinen Moskitonetz-Kokon einpackt), eine Technik (in der der Begriff ‘Instandhaltung’ nicht zu existieren scheint), der bedrohliche Verkehr, die endlosen Staus auf der Andul Road und anderes mehr. All das und insbesondere das Gefühl der ärztlich/medizinischen Insuffizienz haben mir zu Anfang große Schwierigkeiten bereitet.
An Abbruch zu denken, habe ich mir verboten, sonst hätte ich die wichtigen späteren Erfahrungen nicht machen können. Dabei haben mir insbesondere die Kollegin und Kollegen in unserer WG geholfen und der Kontakt zur Familie via Internet. Auch tröstlich festzustellen, dass offenbar alle Kollegen vergleichbare Erfahrungen gemacht haben.
Ich hätte es nicht für möglichgehalten, dass man/ich in meinem Alter noch so intensive Beziehungen aufbauen kann wie z.B. in den jugendlichen Assistenzarztzeiten. Aber das tägliche Zusammenarbeiten, die tägliche Wohngemeinschaft (WG), das gemeinsame Erarbeiten von Patientenschicksalen in Diagnostik/Therapie/Verlauf, die abendlichen Diskussionen am WG-Tisch und nicht zuletzt die gemeinsamen Unternehmungen (z.B. Varanasi) bewirken bei allen unterschiedlichen Charakteren ein tiefes Vertrauensverhältnis.
Das hat mich auch schließlich meine Fassung wiedergewinnen und mit meinen Insuffizienzen leben lernen lassen. In diesem Prozess habe ich viel über mein Umfeld, aber auch über mich selbst gelernt. Rückblickend möchte ich diese Erfahrungen auf keinen Fall missen.
Von den Übersetzerinnen wurde ich gefragt, ob ich wiederkomme. Nach den ersten zwei Wochen hätte ich wahrscheinlich gesagt: auf keinen Fall. Es ist sicherlich zu früh, das zu beantworten, aber ich kann mir es jetzt zumindest vorstellen.