29. April 2018

Wenn ich durch die Hauptstraße von Mathare laufe oder fahre, wovon ich – wenn’s mit Hilfe klappt – noch ein youtube-Filmchen unter dem 23. April einstelle, kommt mir das Leben hier friedlich vor. Kinder lachen fast immer und rufen einem “m’sungo” = ‘Weißer’ hinterher. Das ist aber kein Schimpfwort sondern eine Form der Kontaktaufnahme.
Auch die Erwachsenen erscheinen freundlich, viel Lachen, schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Menschen, die hier leben (müssen), die Gestrandeten sind, die von ‘upcountry’ = vom Lande (meist aus der Gegend Richtung Victoriasee) aus wirtschaftlichen Gründen in die Stadt geflüchtet sind, in der Hoffnung auf Arbeit, diese hier auch nicht finden, aber aus Gründen der Gesichtswahrung nicht in ihr Dorf zurückkönnen. Wenn das hier schon innerhalb des Landes so ist, wieviel unmöglicher ist es dann für diejenigen, die bei uns als Flüchtlinge landen; die haben es wenigstens bis nach Europa geschafft.

Um so größer ist die Diskrepanz, wenn ich in die Ambulanz komme, und finde dort jeden Morgen Opfer von Überfällen und Unfällen vor. Menschen mit großen Stichwunden, Knochenbrüchen (Schlüsselbein, häufig Armbrüche von Abwehrversuchen, Schädelkontusionen, zusammengeschlagene Drogenuser).

Besonders nahegegangen ist mir am Freitag eine junge Frau mir einer Krallenhand (Folge einer Armnervenverletzung). Zur schrecklichen Vorgeschichte: sie lebte mit ihrer Mutter und ihrem Kleinkind hier im Slum; der getrennt lebende Vater wollte nicht, dass die Mutter ihren Anteil von einem Grundstücksverkauf erhielt und schickte nachts Männer, die ihre Mutter und ihr Kind erstachen; sie – mit erhobenen Händen – erhielt “nur” einen Messerstich in die Achsel, wobei der Armplexus durchtrennt wurde: daher die Handlähmung.

Solche (auch versuchten) ‘Robberies’ = Überfälle berichten viele unserer Patienten und auch unserer Mitarbeiter*innen auf dem Weg zur oder von der Arbeit morgens/abends im Dunkeln. Deswegen sind wir auch von der German Doctors-Leitung angewiesen, nicht im Dunkeln unser ‘Compound’ = ummauerte und bewachte Wohnsiedlung zu verlassen und wenn, dann nur sichere = bekannte Taxis zu benutzen.

Am letzten Donnerstagmorgen fand ich den ‘Emergency Room’ voller junger Männer vor, drei waren Patienten, die übrigen ihre (Transport-)Begleitung. Ohne solche fremde Hilfe ist man bei Notfällen, Krankheiten, Transporten oder Krankenhausaufnahmen/-behandlungen chancenlos; ohne Geld eben auch! Sie waren Opfer eines Mathatu-Unfalls in ‘upcountry’ vom Montagabend.

Mathatu sind die Minibusse, die den größten Teil des Personentransports bewältigen: oft klapprige Kisten, ständig auf Fahr’gast’-Suche, die ihre Konzession (Sacco) für bestimmten Strecken erhalten, auch wenn sie wahllos herumzufahren scheinen, übervollgestopft mit Menschen, meist in halsbrecherischer Fahrweise.

Sie waren am Dienstagmorgen von einem Krankentransport (so etwas gab’s in Bengalen nicht) in ein auswärtiges Krankenhaus gebracht und dort versorgt worden; also zwei(!) Tage später bei uns, weil die Behandlung hier (fast) umsonst ist.

Einer hatte ‘nur’ Schnittwunden auf dem Schädeldach und ein verstauchtes Handgelenk. Der Zweite sein Gesicht übersät mit Schnittwunden von der Stirn über Augen/Nase/Mund bis zum Kinn und ausgebrochene Zähne, mit ca. 100 Stichen genäht. Der Dritte ein merkwürdig abgewinkeltes Bein, dass von einem zwar diagnostizierten, aber bis dato unversorgten Oberschenkelbruch herrührte. Letztes können wir nicht behandeln und verwiesen auf das unbeliebte, aber preisgünstige staatliche Krankenhaus. Seine Begleiter lehnten das ab – die besseren Krankenhäuser konnten sie nicht bezahlen – und wollten ihn lieber nach ‘upcountry’ zum Heiler bringen, der dies mit ‘Massagen’ behandeln sollte. Nach letzten Informationen sollen sie ihn dann doch ins Krankenhaus gebracht haben, aber sicher bin ich mir nicht.

Heute haben wir Matthias verabschiedet. Da die geplante Ablösung ausgefallen ist, werden wir diese Woche zu dritt stemmen müssen. Der Kinderarzt wird uns fehlen.

Das ist natürlich nicht Matthias 😉   sondern heute im Giraffen-‘Nationalpark’, sonntägliche Attraktion für (bessergestellte) Nairobi-Kinder.